Predigt für die Konventsmesse „Gregorianik, Fasten und Körperarbeit“ 2010

Predigt
für die Konventsmesse „Gregorianik, Fasten und Körperarbeit“
am Samstag, den 27. März 2010, 9:30 Uhr, Klosterkirche Lehnin

von Altoberin Sr. Ruth Sommermeyer, Kloster Lehnin

Text: Johannes 17, 17-26: Das Hohepriesterliche Gebet Jesu
17 Heilige sie in der Wahrheit; dein Wort ist die Wahrheit. 18 Wie du mich gesandt hast in die Welt, so sende ich sie auch in die Welt. 19 Ich heilige mich selbst für sie, damit auch sie geheiligt seien in der Wahrheit. 20 Ich bitte aber nicht allein für sie, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden, 21 damit sie alle eins seien. Wie du, Vater, in mir bist und ich in dir, so sollen auch sie in uns sein, damit die Welt glaube, daß du mich gesandt hast. 22 Und ich habe ihnen die Herrlichkeit gegeben, die du mir gegeben hast, damit sie eins seien, wie wir eins sind, 23 ich in ihnen und du in mir, damit sie vollkommen eins seien und die Welt erkenne, daß du mich gesandt hast und sie liebst, wie du mich liebst. 24 Vater, ich will, daß, wo ich bin, auch die bei mir seien, die du mir gegeben hast, damit sie meine Herrlichkeit sehen, die du mir gegeben hast; denn du hast mich geliebt, ehe der Grund der Welt gelegt war. 25 Gerechter Vater, die Welt kennt dich nicht; ich aber kenne dich, und diese haben erkannt, daß du mich gesandt hast. 26 Und ich habe ihnen deinen Namen kundgetan und werde ihn kundtun, damit die Liebe, mit der du mich liebst, in ihnen sei und ich in ihnen.

„Am besten gehen Sie über die Brücke und halten sich dann links“, so sagte mir eine Pflegerin des Altenheims, als ich etwas ratlos an einer Wegkreuzung stand und in dem großen Gelände des Teltower Mutterhauses ein ganz bestimmtes Haus suchte. Wir haben soeben einen Teil des wunderbaren Gebetes Jesu gehört. Wir dürfen Zeugen sein des Gespräches, das ER kurz vor seinem Tod mit dem Vater führt. Und wir als Menschen, die heute Morgen nach einer Woche des Fastens und Betens, des Singens und der Gemeinschaft hier im Gottesdienst zusammen sind, wir kommen in diesem Gebet vor. Jesus baut uns eine Brücke zu Gott. Ein Pfeiler dieser Brücke steht in dieser und der andere in Gottes Welt . Wir dürfen diese Brücke betreten, um Gott nahe zu sein. Die Bitte um Heiligung bezieht sich auf solches „Gott nahe sein“. Fasten und Beten kann  ein Schritt zu auf diese Brücke sein, bei dem wir geheiligt werden und Nähe Gottes spüren dürfen. Der Brückenschlag Jesu weist uns darauf hin, dass wir der Dunkelheit und der Niederlage in unserem Leben nicht preis gegeben sind. „Vater, ich will, dass wo ich bin, auch die bei mir seien, die Du mir gegeben hast.“

Am 14. März hatte ich eines meiner schlimmsten Erlebnisse einer Autofahrt. Am Morgen dieses Sonntags war ich bei gutem Wetter nach Leipzig gefahren, um das Tauffest unseres 8 Monte alten jüngsten Familienmitgliedes mitzufeiern. Es war ein wunderbarer Gottesdienst, in dem beide Sakramente, Taufe und Abendmahl mit Liedern und Chorgesängen umrahmt waren. Aber die Heimfahrt, die ich am späten Nachmittag antrat, hatte es in sich. Über der Autobahn wurde es dunkler und dunkler. Ich wunderte mich darüber, denn ich wollte so nach Hause kommen, dass es noch hell war. Als ich den Fläming erreichte, brach der Schneesturm los. Ich sah nichts mehr, kein Abfahrtschild, keine weißen Striche, und jedes Mal, wenn ein Auto vorbei fuhr, klatschte mir eine volle Ladung Schnee an die Windschutzscheibe. Mein Herz war voll von Angst. Was sollte ich tun? Eins wusste ich: Ich brauche jetzt die Nähe und die Hilfe Gottes. Der Zuspruch Jesu: „Ich bin bei euch alle Tage“ trug mich auf „die Brücke“. Dann fuhr ich auf der Mittelspur mit 40 km/h, um sicherer zu sein. Die Angst war schon noch vorhanden und doch, das Vertrauen war stärker als die Angst, und  ich betete jetzt, das half mir, auch die nächste Entscheidung zu treffen. Wo fahre ich von der Autobahn runter? Es musste eine Abfahrt sein, die ich genau kannte. So entschied ich vor Fichtenwalde abzufahren, um über die Dörfer nach Hause zu gelangen. Der Schneesturm verfolgte mich bis nach Lehnin. Ich kam wohlbehalten an. Eine Weile blieb ich im Auto sitzen. Ich betete und dankte und dankte und betete. Ich war so froh, Seine Nähe erfahren zu haben. Glauben Sie mir, den ganzen folgenden Tag begleitete mich dieses Erlebnis, die Erfahrung, seine Nähe gespürt zu haben, in meinen Gedanken.
Jesus betet in diesem Hohepriesterlichem Gebet für uns. Für mich ist es etwas ganz Großes, wenn ich einen Menschen haben darf, der für mich betet. Und dass Jesus für uns betet, steht an dieser Stelle in der Bibel. Ich bitte nicht allein für meine Jünger, sondern auch für die, die durch ihr Wort an mich glauben werden. Auf dass sie alle eins seien, gleich wie du, Vater in mir und ich in dir. Das ist das Geheimnis der Gemeinde und Gemeinschaft, wie Sie es vielleicht in diesen Tagen des Fastens und Betens gespürt haben Dabei sind nicht Sympathien, sondern der gemeinsam Lobpreis Gottes die heilige Verbindung, die zur Gemeinschaft führt. Das Gebet schließt Jesus ab, indem er auf die große Liebe Gottes hinweist. Sie kann uns auf die Brücke und damit in die Nähe Gottes führen. Liebe ist immer eine Kraft Gottes in uns. Liebe kommt von Gott. Ich las gestern in der Kirchenzeitung: Kapitalismus ist die Gegenmacht der Liebe.

JESUS betet darum, dass Gottes Liebe uns erfüllen möchte. Daß wir etwas davon geschenkt bekommen von der Liebe mit der Gott Jesus liebt. Es gibt keine Religion außer der christlichen, in der Gottes Liebe einen so großen Stellenwert einnimmt. Davon lebt die ganze Welt. Durch  die Christen ist die Nächstenliebe in die Welt getragen worden. Sie hat großen Einfluß auf viele Menschen. Sie hat die Welt verändert und das Handeln vieler Menschen bestimmt. Alle Hilfsorganisationen, deren Namen wir im Zusammenhang mit dem Erdbeben von Haiti wahrnehmen konnten, haben ihren Ursprung im Hohepriesterlichen Gebet Jesu, auch wenn sich manche Helfer dessen nicht bewusst sind. Aber was sie tun, ist wunderbar und von einer Kraft getragen, die nur von Gott sein kann. Lassen Sie mich diese Gewissheit mit einem Bericht unterstreichen. Chris Dunic gehört zu einem amerikanischen Katastrophen-Rettungsteam und hat als Feuerwehrmann nach den Terroranschlägen am 11. September Einsatz geleistet. Am achten Tag nach dem Beben auf Haiti ließen Chris und seine Mannschaft den Kopf hängen. Sie hatten bisher niemanden aus den Trümmern holen können. Auf einmal erreichte sie die Nachricht, dass man unter den Trümmern eines Wohnhauses schwache Hilferufe gehört hatte. Sie führten eine Kamerasonde in den Hügel aus geborstenem Beton eines fünfstöckigen Hauses. Die Kamera war auf einen  Hohlraum gestoßen. Darin lagen zwei Kinder, zusammengekrümmt wie zwei weg geworfene Stoffpuppen. Doch sie lebten. Fieberhaft und unheimlich vorsichtig arbeitete sich das Hilfsteam, immer zwei Mann zu der Fundstelle durch, dann waren Chris und Brad an der Reihe. Sie durchbrachen das letzte Hindernis und fanden den achtjährigen Kiki .Hinter ihm lag die zehnjährige Sabrina. Als das Loch so groß war, dass Kiki sich heraus rollen konnte, gaben sie dem Kind ein Zeichen. Doch Kiki rührte sich nicht. Er murmelte etwas auf kreolisch und schüttelte den Kopf. Er war mit nichts zu locken, auch nicht mit Wasser, denn er wollte seine Schwester und seinen toten Bruder nicht verlassen. Da begann Brad zu singen. Er sang ein französisches Kinderlied “Frere Jaques, frere Jaques, dormes vous, dormes vous?“ (Bruder Jakob, Bruder Jakob, schläfst du noch?) Mit einem Seufzer ließ sich Kiki in die Arme von Chris fallen. Wie groß ist doch die Liebe an diesem Ort des Grauens? Die Liebe des Katastrophen Teams, die Liebe des kleinen Jungen, der nicht an sich, sondern an seine Geschwister denkt und die Liebe des Mannes, der über ein Kinderlied das Herz des verschütteten Kindes erreicht. Das ganze bringt uns doch nahe an das Kreuz, an den Karfreitag, an Golgatha. Dort berühren sich Grauen und die Liebe, die von Jesus ausgeht, hautnah. Die Liebe siegt über das Leid, das Gute über die Bosheit. Das lässt uns glauben und hoffen. Die Lyrikerin Kerstin Hensel schreibt: „Als blinder Passagier begleitet uns die Hoffnung durch dunkle Zeiten und öffnet uns die Augen für den Lichtstrahl am Ende des Tunnels.“

Ich bin über die Brücke gegangen, wie es mir die Altenpflegerin geraten hatte, und ich war überrascht, wie schnell und sicher ich das fand, was ich gesucht hatte.- Wagen wir es, über die Brücke zu gehen, die Jesus uns zu Gott gebaut hat, damit Gottes Nähe uns Trost und Halt ist. Damit wir erfahren, dass wir geliebt werden und Lieben können mit der Kraft seines Geistes.

Amen.                                                                                                Lehnin, den 27. März 2010

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