Léogâne-Haiti aktuell – Ausgabe 2

Die kleine „Zeitung“ mit Informationen über Haiti und unsere Arbeit in Léogâne,

von Marie-Josée und Franz Groll
Ausgabe 2 – 5.1.2011

Liebe Freundinnen, Freunde, Bekannte und alle, die sich für Haiti interessieren

In 7 Tagen jährt sich die schlimmste Naturkatastrophe, die Haiti je erlebt hat und es gibt noch immer keinen Wiederaufbau. Die GTZ, CARE, das kanadische Rote Kreuz und bestimmt noch andere Organisationen bauen zwar kleine Holzhäuser auf, oft nur mit einer Zeltbahn als Wand, aber die Mehrheit der Menschen, deren Häuser zerstört wurden, lebt immer noch in Zelten.
Als wir das Projekt geplant haben, dachten wir, dass das größte Problem die Verfügbarkeit von Maurern und anderen Baufachkräften sein wird, denn es sind etwa 250 000 Häuser aufzubauen. Es wurde uns auch von der Caritas bestätigt, dass sie für den Aufbau ihrer Projekte keine Fachkräfte bekommen. Wir befürchteten auch enorme Preissteigerungen für Baustahl, Zement und alle anderen Baustoffe. Das ist aber nicht das wirkliche Problem, die Preise sind fast stabil und die Fachkräfte finden keine Arbeit.

Das größte Problem ist das mangelnde Geld, das für den Wiederaufbau benötigt wird.
Und das, obwohl hunderte von Millionen gespendet wurden und etwa 40 „Geberländer“ versprochen haben, jährlich eine Milliarde Dollar zur Verfügung zu stellen. Das Geld kommt bis jetzt hier, wenn überhaupt, wohl nur in sehr geringem Umfang an.

Das kann man sich gar nicht vorstellen: Die Gebäude eines Drittels des Landes sind zerstört oder stark beschädigt und dennoch finden nicht einmal die Maurer eine Arbeit. Das Interimslager, die Unterkünfte, die Bau-Werkstatt und die Kläranlagen, die wir bis jetzt gebaut haben, wurden fast ausschließlich mit Fachkräften aus Port-au-Prince oder von dessen Vororten gebaut, sie kamen täglich mit dem Bus in das 40 km entfernte Léogâne. Warum? Weil vor allem in der Hauptstadt noch fast nichts gebaut wird, aber auch im übrigen Erdbebengebiet läuft nicht viel.

Die Probleme sind vielfältig und so komplex, dass auch wir, die das Land relativ gut kennen, nicht mit Sicherheit sagen können, an was es liegt. Aber das, was wir sicher erkennen, wollen wir in diesem Haiti aktuell darstellen:

Es ist leider nicht so wie bei uns nach dem Krieg; damals wurde mit 4 Mrd. $ unsere Wirtschaft angestoßen. Der entscheidende Unterschied liegt darin, dass bei uns das know how da war und die Wertschöpfung überwiegend im eigenen Land entstand. Das heißt: Durch die 4 Mrd. $ sind Arbeitsplätze entstanden, die aus den 4 Mrd. $ das XX-fache an DM für zusätzliche Investitionen erzeugt haben. 
Das ist in Haiti leider nicht so.

  1. Hier ist die Produktivität der Arbeit sehr gering, es entsteht also mit jedem geschaffenen Arbeitsplatz nur eine geringe Wertschöpfung, dadurch wird durch die Arbeit auch wenig neues Kapital erzeugt.
  2. Es werden fast alle industriellen Erzeugnisse importiert, auch alles, was für den Wiederaufbau benötigt wird: Baustahl, Zement, Holz, Türen, das Material für die Fenster, die Sanitärartikel (nur PVC_Rohre werden in Haiti selbst hergestellt und das Wellblech wird gewellt und verzinkt und es gibt eine Produktion von Nägeln), auch alle Werkzeuge werden importiert.

Das heißt, die Gelder, die vom Ausland kommen – wenn sie dann mal kommen – fließen zum größten Teil gleich wieder ins Ausland ab und erzeugen so im Inland kein neues Kapital, mit dem wieder neue Häuser gebaut werden könnten.

Dazu kommt, dass die ausländische Hilfszusage noch gar nicht ankommt, weil auch die führenden Fachkräfte fehlen (Bauingenieure, Architekten), die die Projekte auf den Weg bringen können.
Leider sind auch die von den ONG’s gesandten Leuten meistens ebenfalls keine Baufachleute, so dass von da auch keine Hilfe kommt. Eigentlich ist es fast zum Verzweifeln.

Mit unserem Projekt wollen wir versuchen, diese Situation auf fast allen angesprochenen Problemebenen etwas zu verbessern, natürlich nur in der unmittelbaren Umgebung von Léogâne. Mehr können wir nicht leisten.

Bis jetzt verharrt das Land in dem Zustand wie es bisher war, das heißt jeder versucht irgendwie jeden Tag an das nötige Kleingeld heranzukommen, oft durch einen sogenannten „petit commerce“ (also Kleinsthandel), damit er/sie etwas zum Essen kaufen und die Kinder in die Schule schicken kann, zu mehr reicht es nicht. Durch den Kleinsthandel wird aber nichts erzeugt. Eine positive Entwicklung ist nicht in Sicht.
An einen Wiederaufbau ohne effektive Hilfe von außen ist da nicht zu denken!!

Diese Hilfe muss auf allen Ebenen ansetzen:

  1. Die Regierung muss fachliche Unterstützung bekommen, dazu müssen die richtigen Fachkräfte entsandt werden, die auch wirklich eine Veränderung, eine Verbesserung bewirken können.
  2. Vor allem die technische Ausbildung auf allen Bildungsebenen (Ingenieure, Facharbeiter) muss grundlegend, vor allem praxisorientiert, verändert werden und es müssen sehr viel mehr Studien- und Ausbildungsplätze angeboten werden. (Längerfristig ist das gesamte Bildungssystem zu reformieren, aber das mögliche Resultat kommt für den Wiederaufbau zu spät.)
  3. Regierung und Privatleute müssen eine finanzielle Hilfe bekommen, damit sie die zerstörten Gebäude wieder errichten können.
  4. Die Produktivität der Arbeit muss erheblich gesteigert werden, damit die Wertschöpfung nicht nur notdürftig fürs tägliche Überleben reicht, sondern zusätzliche Zeit und Kapital bleibt, um den Wiederaufbau zu ermöglichen.
  5. Die Betriebe müssen durch Know-how-Transfer gezielt gefördert werden, damit mehr im eigenen Land für den eigenen Bedarf produziert wird. So könnte z.B. Zement wieder selbst hergestellt werden, Türen, Beschläge, Aluminiumprofile für die Fenster, Artikel des täglichen Bedarfs, wie Teigwaren, Konserven, Hygieneartikel usw.
  6. Es muss aber auch die Produktivität der Landwirtschaft erhöht werden. Es müssen nicht gleich riesige Mengen sein wie bei unserer industrialisierten Landwirtschaft in Europa, das ist das andere Extrem. Als Ziel sollte die Selbstversorgung des Landes angestrebt werden, um so nach Abschluss des Wiederaufbaus annähernd an eine ausgeglichen Handelsbilanz heranzukommen.

Es müssen aber auch Wege gefunden werden, die es Privatleuten ermöglicht, an Hilfsgelder für den Wiederaufbau ihrer Hütten und Häuser heranzukommen. Unsere Vorstellung ist, dass Wiederaufbau-Vereine gegründet werden, deren Mitglieder ihre Häuser, mit Unterstützung von der zugesagten Wiederaufbauhilfe, gemeinsam errichten. Es gibt dazu in Haiti schon das „Kombit-Modell“, das sind Vereine auf dem Land, deren Mitglieder miteinander die Felder bestellen. Diese Vereine könnten auch noch so etwas wie Bausparkassen einrichten.

Nach diesen mehr grundsätzlichen Betrachtungen, kommen jetzt Informationen über unseren Alltag, das Projekt, unsere Erlebnisse und Erfahrungen:

Was sich hier abspielt ist oft absolut unglaublich…
Heute morgen am 6 Uhr waren schon 6 Leute vor der Tür, um nach Arbeit zu fragen… Sie kamen von Port-au-Prince und noch weiter und wollten Arbeit. Einer davon kam sogar von Aquin von der anderer Seite der Halbinsel…

Ein ganzes Volk sucht nach Arbeit, arbeitet gerne, freut sich riesig wenn ein Job endlich gefunden wird… und die (nicht) Regierung schläft weiter, kümmert sich um NICHTS, lässt dieses Potential brach liegen…
Dabei sind die Straßen in einem mörderischen Zustand, eine Menge ist aufzubauen, die meisten Schulen sind kaputt etc… nicht einmal bei den Regierungsgebäuden scheint sich was zu bewegen…
Der Staat – und leider auch die Kirche – stellen sich ihrer Verantwortung NICHT.
Ein kleines Geschenk haben wir aber vom Staat bekommen. An Sylvester wurde der 2. Container nach einer Wartezeit von 13 Wochen nach Jérémie geliefert, ohne dass ein einziger Zöllner den Inhalt gesehen hat. Das Sigel, das von der Spedition Kussmaul in Nagold angebracht wurde, war noch unversehrt.
Hier auf dem „Chantier “ wird schwer geschuftet, aber ALLE sind fröhlich, weil sie nun die Hoffnung haben, Ihre Familie ernähren zu können!
Vor dem Lager sammeln sich weiter Leute, weil der Lagerist dort die „Kandidaten“ einschreibt mit Ihren Fähigkeiten, meistens sind es aber ungelernte Arbeitskräfte, um sie abrufen zu können je nach Bedarf.

Vorgestern haben wir angefangen das Gelände für das Gebäude N°2 abzumessen…. und haben überraschend festgestellt, das es (für das Auge nicht wahrnehmbar) ein 90 cm Gefälle hat. Aber auch dafür hat Franz schon eine Lösung gefunden, das Gebäude bekommt einen Absatz mit 40 cm Höhe… und die super-gute Unterstützung durch die Leute von Züblin wird auch nicht ausbleiben… Dieu merci!

Zur Unterstützung von Franz kommt am Sonntag Boss Bergmann, ein sehr guter Maurerpolier, mit dem Franz schon in Jérémie alle Projekte ausgeführt hat. Er bringt auch noch 4 sehr gute Maurer mit – am Montag wird der erste Stein der Natursteinfundamente gesetzt, die ersten Fundamentgräben wurden gestern und heute (es ist inzwischen Samstag der 8.1.) von Männern aus der Nachbarschaft schon ausgehoben. Sie haben sich riesig gefreut, endlich ein paar Gourdes zu verdienen und haben bei der Ankündigung der Höhe des Lohnes – 7 € pro Tag – mit Beifall gedankt.

Wir sind jetzt 3 Monate hier. In dieser Zeit sind vor allem wichtige Vorarbeiten geleistet worden. Noch vor unserer Ankunft hat Franz mit Unterstützung eines Bekannten von Frau Dr. Anke Brügmann, Jocelyn Bazile, ein Lager bauen und einen Brunnen bohren lassen. Mit Michaels Hilfe wurden 2 Holzhäuser gebaut, in denen jetzt dann 8 Fachkräfte aus Jérémie wohnen, das Interimsbüro eingerichtet wird und wir haben am 29.12. ein kleines Appartement mit 22 m² bezogen, gleichzeitig sind 2 ehemalige Mechaniker-Lehrlinge vom Centre Technique in Jérémie eingezogen, die hier bis nachts um 9:00 Uhr Gitter, Tore und Vorrichtungen schweißen. Zusätzlich ist eine Küche, ein Dusch- und Toilettenhaus und eine Werkstatt gebaut worden, dazu eine kleine 3-Kammer-Kläranlage und für die Schule wurde auch schon die große Drei-Kammer-Kläranlage gebaut.

Was sonst noch? Privat gibt es nichts zu berichten… Privatleben gibt es hier eigentlich nicht,
man ist immer irgendwie „ auf dem Markt“, manchmal schon etwas schwierig…
Aber bis jetzt geht es uns beiden gut und es ist unheimlich SCHÖN und wohltuend Eure Unterstützung – trotz Entfernung – „ hautnah“ spüren zu dürfen…
Schreibt uns wenn Ihr Lust dazu habt. Es ist immer aufbauend von euch zu hören!
(aber bitte per mail, denn KEIN einziger der abgesandten Briefe ist bis jetzt hier angekommen)
Und wer kein Computer-Fan ist, hat sicher auch einen netten Nachbar, der den liebevoll handgeschriebenen Brief einscannen wird, um ihn an uns weiterzuleiten… aber bitte achtet darauf, das die Mail mit dem angehängten Dokument nicht mehr als 300 kB hat, sonst steigt unser Funk-Modem wegen Zeitüberschreitung aus.

Wir danken herzlichst für eure Anteilnahme, Unterstützung und Begleitung auf dem Weg zu einer Welt, wo es weniger Elend, Ausgeschlossene, Einsame, Hungrige nach Brot und Gemeinschaft geben soll…

Es grüßen Euch herzlich-zuversichtlich und bitten um Gottes Segen über Jede und Jeden von Euch während dem ganzen neuen Jahr 2011 !!!

Eure „ Haitianer “           Marie-Josée und Franz

Das ist bis jetzt entstanden: Links im Bild die Werkstatt und das Lager, in der Mitte und rechts die beiden Holzhäuser. In der Mitte des linken Hauses wohnen wir, links von unserer kleinen Wohnung ist das Büro und rechts die Küche und im rechten Haus wohnen die 8 aus Jérémie. Zwischen den beiden Häusern ist das Dusch- und Toilettenhaus mit einer Zisterne unterm Dach.

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