Predigt über Mc 14, 3 – 9 am 26. 2. (Invocavit) 2012 in Pankow

 11. Alpirsbacher Invokavit

Berlin, Alt-Pankow

24. – 26. Februar 2012

Predigt über Mc 14, 3 – 9 am 26. 2. (Invocavit) 2012 in Pankow

Von Lorenz Wilkens, Berlin

Liebe Gemeinde,

Jesus ist mit seinen Anhängern nach Jerusalem eingezogen, um am Pessach-Fest teilzunehmen, einem der drei großen Wallfahrtsfeste des jüdischen Volkes. Bei seinem Einzug wurde er begrüßt, wie man alle Wallfahrer in der Stadt begrüßte – mit Worten aus Ps 118: „Herr, hilf! (auf hebräisch: hoschi’ah na) Herr, laß gelingen! Gesegnet sei, der kommt, im Namen des Herrn. Wir segnen euch vom Hause des Herrn aus. Der Herr ist Gott; er erleuchtet uns.“ Während des Einzugs Jesu ist bei seinen Anhängern und den ihn und sie begrüßenden Jerusalemern die Hoffnung, durch ihn werde das Königreich Davids wiederhergestellt werden, auf ihren Höhepunkt gekommen. So fügen sie dem Gruß, der den Wallfahrern gilt, den Ruf hinzu: „Gesegnet sei das kommende Königreich unseres Vaters David! Hilf in der Höhe!“ Dann zieht Jesus zum Tempel, und nun muß es geschehen, muß sich entscheiden: Jesus muß zum Messias g e s a l b t werden. Und es geschieht nicht! Die Salbung bleibt aus. Es heißt, Jesus sah sich im Tempel alles an; darnach ging er mit dem Zwölfen nach Bethanien. Das war ein kleiner Ort außerhalb der Mauern, südöstlich von Jerusalem – ein Asyl für die „Aussätzigen“, die Leprakranken, denn sie durften nicht in der Stadt leben, sie waren vor die Mauern verbannt. Dorthin geht Jesus. Statt daß in Jerusalem, im Tempel seine königliche Würde manifestiert und von den Priestern bestätigt wird, geht er an einen Ort der Ausgeschlossenen. Er verschwindet vor den Augen der Öffentlichkeit. Bedeutet dies Verschwinden nicht das Eingeständnis seiner Niederlage?

In Bethanien hält er sich auch nach zwei Tagen auf – als Gast eines Simon, der an Lepra erkrankt ist. Wie seine Jünger gestimmt sind, können wir uns leicht vorstellen: enttäuscht von Jesus, niedergeschlagen, in ihnen brütet ein Groll gegen ihn, sie sind ratlos, beunruhigt, geängstigt: Was wird das Priesteramt, was werden die Römer tun? Eben vor unserer Geschichte berichtet das Markus-Evangelium von dem Plan des Priesteramts, ihn zu verhaften und umzubringen. Es ist aus mit ihm; er hat verspielt – ein wunderlicher, ein lächerlicher, wenn auch rührender Messias-Prätendent.

Nun geschieht etwas Unerwartetes: Eine Frau tritt ein, eine Unbekannte. Woher kommt sie? Wie konnte sie ohne männliche Begleitung hierher kommen? Wie kann sie es wagen, unangemeldet hier einzudringen? Sie hat ein Gefäß aus Alabaster mit Nardenöl. Das ist eine seltene Kostbarkeit. Es wird aus der Narde gewonnen, einer im nördlichen und östlichen Indien beheimateten Pflanze. Es verbreitet besonderen Wohlgeruch. Die Unbekannte bricht das Fläschchen auf und gießt das Öl über dem Kopf Jesu aus. Den Jüngern schießt es durch den Kopf: D a s ist die Salbung! Jetzt wird Jesus einmal wie ein König behandelt. Aber das kann nicht sein – hier, am Ort der Krankheit und des Elends? Es paßt nicht. Übrigens scheint es sich um eine begüterte, eine vornehme Frau zu handeln; sonst könnte sie sich das teure Öl nicht leisten. Doch wozu ist sie gekommen? Will sie Jesus verhöhnen? Ist, was sie tut, nicht eine Parodie der Königs-Salbung? Ist es nicht eine ungeheure Frechheit?

Allein das sagen die Jünger nicht. Sie wagen nicht, es zu sagen. Das hieße ja, ihre Enttäuschung einzugestehen, von der sie so überwältigt sind, daß sie darüber nicht sprechen können. Daher verlegen sie sich – unbeholfen, durchsichtig genug – auf die wirtschaftliche Vernunft: Man hätte das Öl verkaufen und den Erlös den Armen geben können.

Und nun die Antwort Jesu: „ Was sie an mir tat, war eine schöne Handlung – eine Wohltat.“ Darauf das unvergeßliche Wort: „Arme habt ihr allezeit und könnt ihnen Gutes tun; mich aber habt ihr nicht allezeit.“ Damit rührt er an ihre Ahnung, daß sie ihn sehr bald verlieren werden. Er rührt an ihre Angst, die sie soeben hinter wirtschaftlicher Vernunft verbergen wollten und damit um so deutlicher zum Ausdruck brachten. Jesus stellt mit seinem Verständnis die Brücke zu ihnen wieder her.

Doch wodurch hat ihm die Handlung der Unbekannten so wohlgetan? Es liegt am Nardenöl. Es kommt in der Bibel außer an dieser und der parallelen Stelle im Johannesevangelium nur im Hohen Lied vor. Das Hohe Lied ist eine Sammlung von Liebesliedern. Dort findet sich das Wort an zwei Stellen, die erste im ersten Kapitel Vers 12: „Solange der König bei seiner Tafel weilte, verströmte meine Narde ihren Duft.“ So spricht die Freundin des Königs. Ähnlich die zweite Stelle in cap. 4, 12 – 14; dort spricht ein junger Mann über seine Braut: „Ein verschlossener Garten (hortus conclusus – diese Stelle wurde später auf Maria, die Mutter Jesu, bezogen – man sieht sie in diesem Sinne auf vielen Bildern des Mittelalters und der Renaissance im Paradiesgarten sitzen; das berühmteste Beispiel ist von Stefan Lochner und befindet sich im Kölner Dom), ein verschlossener Garten ist meine Schwester, Braut, ein verschlossener Brunnen, ein versiegelter Quell. Aus dir gehen hervor ein Hain von Granatbäumen mit köstlichen Früchten, Hennasträucher samt Nardenkräutern, Narde und Safran, Gewürzrohr und Zimt samt allen Weihrauchhölzern, Myrrhe und Aloe samt allen besten Balsamsträuchern.“ Die unbekannte Frau, die in das Haus des Simon eindringt, verweist mit dem Nardenöl auf das Hohe Lied. Sein Duft zeichnet Jesus als König aus. „Solange der König bei der Tafel weilte, verströmte meine Narde ihren Duft.“ Und sie selbst gleich dem verschlossenen Garten, in dem die Narde wächst – sie gleicht der Braut, von der das Hohe Lied spricht. Mithin ist klar: Ihre Tat ist eine Handlung der Liebe, und sie zeichnet Jesus damit als König aus. Es ist ihre Liebe, durch die er zum König wird. Ja, er ist dennoch König, nicht so, wie die Jünger ihn haben wollten, die nun enttäuscht sind, sondern wie die Liebe ihn sieht, die auch jetzt nicht enttäuscht ist. Es war nicht der Hohe Priester, sondern die Liebe einer Frau, die Jesus zum König gesalbt hat. Immer wenn man von Jesus als dem ‚Christus’, d. i. der Gesalbte, spricht, wird man dieser Frau gedenken.

Doch somit zurück zur Traurigkeit, denn Jesus sagt: „Sie hat die Salbung meines Leibes zum Begräbnis vorweggenommen.“ (v. 8) Nun steht es so, daß die Juden ihre Toten zur Bestattung nicht einbalsamieren, sondern nur waschen. Einzig Könige konnten bei ihrem Begräbnis noch einmal durch Salbung ausgezeichnet werden.1 Somit ergibt sich: Auch wenn die Salbung auf den bevorstehenden Tod Jesu und seine Bestattung bezogen wird, zeichnet sie ihn zugleich als König aus. Wenn man Jesus mit den Augen der Liebe ansieht, so wird er durch seinen Tod nicht als König widerlegt. Wie ist das zu denken? Worin liegt die königliche Würde, die auch durch den Tod bestätigt wird? Es ist die Würde, die nur die Liebe sehen kann. Sie wird um seinen Tod trauern nicht weniger als die Jünger, aber ihr Bild von ihm wird nicht durch Enttäuschung entstellt und verdunkelt werden, daran hindert es die Liebe, d. i. die genaue Empfindung seines Wesens. Sie wird um ihn trauern, aber ihn nicht aufgeben, ihre Traurigkeit wird nicht in aggressive Gedanken umschlagen, nicht in jene Vorwürfe und Verdächtigungen, die sagen: Er hat uns an der Nase herumgeführt, er hat die Hoffnung in uns erweckt, der neue König zu sein, und nun hat er verloren, woran sich ja zeigt, daß er ein Betrüger war. Das sagt die Liebe nicht, sondern: Sein Tod widerlegt ihn nicht, mein Bild von ihm wird dadurch nicht verstört, denn meine stärkste auf ihn bezogene Empfindung besagt, daß er sich treu geblieben ist bis zuletzt. Er hat ja noch am Kreuz Gott angerufen – zu sich zurückgerufen.

Liebe Gemeinde, ich glaube, wir dürfen schließen: Daß wir die Erinnerung an diese Unbekannte haben, ist unendlich viel wert. Auch darin dürfen wir Jesus recht geben, der sagte: „Wo immer in der ganzen Welt das Evangelium verkündigt wird, wird auch erzählt werden, was sie getan hat, zu ihrem Gedächtnis.“

(v. 9) Nur die Liebe kann uns vorbehaltlos von einem anderen Menschen überzeugen. Nur die Treue zu Gott kann uns vorbehaltlos – trotz unserer Sterblichkeit – von unserem Leben überzeugen. Die Liebe zu den Menschen und die Treue zu Gott gehören zusammen.

Amen.

(Pfr. Dr. Lorenz Wilkens)

1 Cf. II Chr 16, 14 und den Artikel „Anointing“ in der Encyclopaedia Judaica.

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