Gottesdienst am 20.Oktober 2013: Predigt zum Thema „Weltgericht“; Text: Matthäus 25, 31-46

Vorbemerkung:
Im Rahmen des Wochenendes „Seegeschichten am See“ beteiligte sich der Konvent u. a. am Sonntagsgottesdienst in der Schloßkirche Friedrichshafen mit 2 Psalmgesängen, Responsorien, der Gestaltung des Wochenliedes und der Evangeliumslektion. Die folgende Predigt durch Pfr. Dr. Gottfried Claß baut eine Brücke zwischen dem Proprium des Sonntags und einer in der Folgewoche geplanten Aufführung des Oratoriums „Weltgericht“ von Friedrich Schneider. Abschließend 2 durch Gemeindeglieder formulierte Fürbittgebete

Gottesdienst am 20.Oktober 2013
Predigt zum Thema „Weltgericht“
Text: Matthäus 25, 31-46

 

  1. Das Gericht macht Angst

    Es war an einem Novembermorgen in der Stuttgarter S-Bahn. Mein Blick blieb an einem Plakat hängen. Auf ihm stand ein gestrenges Bibelwort: Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi

    An jenem trüben Morgen wirkte das auf mich wie eine Drohung. Unwillkürlich setzte ich mich aufrechter hin, so als säße ich auf einer Anklagebank und müsste auf jedes Wort aufpassen, sogar auf jeden Gedanken…
    Und dazu fielen mir die Bilder ein, wie auf vielen alten Gemälden der Weltenrichter dargestellt ist: Christus auf dem Thron, das Schwert in der Hand – zu seiner Rechten die Erlösten, zu seiner Linken die Verdammten, auf die der Höllenschlund wartet.

    Ich schaute in der S-Bahn die Menschen um mich herum an – da war kaum jemand mit einer erkennbaren Lebensfreude. Die meisten sahen eher unlustig und müde aus. So als trügen sie schon am frühen Morgen ihre Lasten in den Tag, auch die von gestern und vorgestern noch, die Fehler und Versäumnisse, das Versagen, den Frust, die Sorgen – was sich eben so ansammelt in einer Woche, einem Monat, einem Leben.

    Ich dachte: Diese Menschen brauchen doch nicht diesen drohenden, angstmachenden Ton. Was sie bräuchten, wäre Erleichterung und Befreiung, Versöhnung mit dem eigenen Leben und eine Perspektive für die Zukunft…

  2. Das Gericht weckt Sehnsucht

    Das Bibelwort aber ließ mich nicht mehr los. Und im Weiterdenken spürte ich, wie dies „Wir werden alle offenbar“ nicht nur Angst auslöste, sondern noch etwas ganz anderes, nämlich – Sehnsucht.
    Die Sehnsucht, dass einer reinen Tisch macht. Dass einer unsern ganzen unsäglichen und unseligen Gruscht anschaut und sagt: „Ich hab alles gesehen. Die Wahrheit ist offenbar und auf dem Tisch. Jetzt kann das alles weg!“

    Die Sehnsucht, dass einer mich anschaut – auch zornig vielleicht und traurig, auch vorwurfsvoll und enttäuscht, und doch voller Erwartung und jedenfalls so, dass ich weiß: jetzt muss ich mich nicht mehr verstecken, hinter keiner Maske, keiner Lüge, keiner Wand. Alles Versteckspiel hat ein Ende.

    Wie eine Offenbarung ist das und wie eine große Befreiung.

    Wir müssen alle offenbar werden vor dem Richterstuhl Christi. Ja, diesem Richter könnte ich trauen, dem Richter mit dem Christusgesicht. Er sieht mich wie ich bin – bis in die verborgenen Herzenswinkel, in die ich niemand gern hineinschauen lasse. Er sieht mich nackt und bloß, ein Menschenkind nur – doch mit dem Geheimnis umhüllt, dass ich wie jeder Mensch Gottes geliebtes Gegenüber bin, Gottes Ebenbild.

    Mit dem Gericht Gottes ist ja die tiefe Sehnsucht nach Gerechtigkeit verknüpft.
    Die Sehnsucht, dass alles noch einmal zur Sprache kommt und alles Unrecht aufgedeckt wird.
    Die Sehnsucht, dass der göttliche Richter die, die schändlich um ihr Leben betrogen wurden: die Armen und Hungernden, die Flüchtlinge, die vor der Festung Europas ertranken, die Millionen Verlierer der Globalisierung, – dass Gott sie ins Recht setzt und ihnen Genugtuung widerfahren lässt.
    Mit dem Gericht Gottes verbindet sich die Sehnsucht, dass Gott die Täter, die skrupellos sich auf Kosten anderer bereichern, z.B. gewissenlose Finanzjongleure unserer Tage, zur Rechenschaft zieht.
    Die Sehnsucht, dass durch diese Hoffnung auf Gerechtigkeit dem blinden Hass und der endlosen Rache und Vergeltung eine Grenze gesetzt wird.

    Wenn wir am kommenden Samstag das Oratorium hören, mag es uns zunächst fremd vorkommen, dass sich dort alles Geschehen vor dem imaginären Thron des richtenden Gottes abspielt. Aber dadurch werden wir mit einer vergessenen Dimension unseres Lebens konfrontiert.
    KMD Wittnebel schreibt dazu im Programmheft: Allein diese Perspektive, dass es nicht egal, was ich in meinem Leben tue oder lasse, dass der Mensch sich im Lichte Gottes erkennen wird, ist es wert, „Das Weltgericht“ aufzuführen und zu entdecken. In unserer heutigen Zeit müssen wir z.B. beim Umgang mit dem „Ersatzgott Geld“ „Profit“ erschreckend aktuell erkennen, wie schnell das Wissen verloren geht, dass wir uns rechtfertigen – verantworten müssen.

    Der Theologe, Helmut Gollwitzer, hat auf die Frage: „Womit bekommt man zu tun, wenn man es mit dem Evangelium zu tun bekommt?“ folgende Antwort gegeben:

    Nichts ist gleichgültig. Ich bin nicht gleichgültig.
    Alles, was wir tun, hat unendliche Perspektiven,- Folgen bis in die Ewigkeit.
    Es bleibt nichts vergessen. Es geht nichts verloren. Es kommt alles noch einmal zur Sprache.
    Wir sind geliebter, als wir wissen.
    Wir werden an unvernünftig hohen Maßstäben gemessen.
    Wir sind auf der Flucht vor Gott – und es wird uns auf die Dauer nicht gelingen. Es wird uns zu unserem Glück nicht gelingen.
    Wir sind nicht allein. Wir sind nie allein.
    Dieses Leben ist ungeheuer wichtig.
    Die Welt ist herrlich – die Welt ist schrecklich.
    Es kam mir nichts geschehen – Ich bin in größter Gefahr.
    Es lohnt sich zu leben.
    (aus: Krummes Holz – aufrechter Gang. Zur Frage nach dem Sinn des Lebens, S. 382)

    Markante Sätze mit all ihren Widersprüchen. Aber billiger ist unser Christsein nicht zu haben.

  3. Worauf es ankommt, wenn er (Christus) kommt

    „Kommt her, ihr Gesegneten meines Vaters“, sagt der Richter zu denen zu seiner Rechten und zu den andern zu seiner Linken sagt er: „Geht weg von mir, ihr Verfluchten…“ Beide sind überrascht, als sie die Urteilsbegründung hören, als wüssten sie nicht, was doch eigentlich nahe liegt:
    „Wenn ihr mich sucht“, sagt Gott, „dann findet ihr mich bei meinen Kindern.“
    „Wenn ihr mir dienen wollt“, sagt Jesus, „dann liebt und ehrt meine Brüder und Schwestern“.
    Nicht nach ihrer Frömmigkeit, ihrer Glaubenszugehörigkeit werden die Völker beurteilt, sondern nach dem Verhalten, nach ihrer Liebe.
    „Was ihr getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir getan. Und was ihr nicht getan habt einem von diesen Geringsten, das habt ihr mir auch nicht getan.“ So einfach ist das. Es geht nicht um große weltbewegende Dinge und um herausragende Leistungen, sondern es geht um ganz einfache Dinge: um ein Stück Brot und ein Glas Wasser, um eine Decke, einen Mantel, um einen Krankenbesuch, einen Brief oder eine E-Mail, um ein offenes Haus. Um offene Augen und ein offenes Herz. – Es geht um alltägliche Dinge und ganz gewöhnliche Schritte.
    Die aber, liebe Gemeinde, sind in ihrer Summe ein ungeheurer Schatz und sie machen einen riesigen Unterschied in der Welt.

  4. Das Gericht fordert unsere Taten der Barmherzigkeit

    Wenn sie fehlen, die kleinen Schritte aufeinander zu, wenn sie ausbleiben, die schlichten Taten der Barmherzigkeit, wenn es am Respekt und der Achtsamkeit fehlt, dann kann das der Beginn einer Katastrophe sein.
    So sieht es dann aus, das Gericht, das wir heute schon überall erleben in der Welt und das sich nicht erst am Jüngsten Tag vollzieht: das Gericht der Folgen. Das Gericht der Folgen dessen, was wir tun und das Gericht der Folgen dessen, was wir versäumen.

    Weil es am Respekt vor der Würde des Menschen fehlte, an Glauben und am Mut und an der Liebe, darum haben im Dritten Reich zuerst die Synagogen gebrannt und dann die Dörfer und Städte in halb Europa. Und weil bis heute die Bereitschaft fehlt zu deutlichen Schritten der Gerechtigkeit und des Friedens, darum brennt es weiter in vielen Gegenden in der Welt und das innerweltliche, das irdische Gericht der Folgen nimmt seinen Lauf.

    Das Gleichnis vom Weltgericht gibt uns eine Chance. Es ist ein eindringlicher Appell. Die Werke der Barmherzigkeit warten darauf, dass sie getan werden – nicht nur durch Institutionen wie den Staat oder die Diakonie, sondern durch uns als einzelne. Die Maßstäbe sind einfach und klar. Es geht um das, was wir alle voneinander brauchen und ohne das wir nicht leben können. Es geht um Aufmerksamkeit für einander, um Achtung, um Gemeinschaftssinn – oder ganz hoch gegriffen: um Liebe.

  1. Der Weltenrichter ist der leidende Gottessohn

    Und nun wartet auf uns noch eine ganz entscheidende Entdeckung. Das Gleichnis vom Weltgericht steht nicht am Ende des Matthäusevangeliums. Es hat nicht das letzte Wort. Wissen Sie, was darauf folgt? Die Passionsgeschichte! Der Menschensohn wird hungern und dürsten, er wird einsam wachen und beten, er wird gefangen und gefoltert und hingerichtet werden. So trägt der Weltenrichter für immer die Züge des leidenden Gottessohnes.
    Er trägt die Züge des Kindes, das gleich nach seiner Geburt im Stall vor Mord und Gewalt fliehen muss in ein fremdes Land.
    Er trägt die Züge des Mannes, der die Elenden aufsucht, die Kranken heilt, die Unberührbaren berührt und die Fremden annimmt.
    Der Richter ist unsere Hoffnung, er ist Gottes gnädiges, barmherziges Wort an uns. Im Weltenrichter verbirgt sich unser Retter.

    Auch im Oratorium bricht sich diese Entdeckung Bahn. Sie gibt dem Gericht eine überraschende Wendung. Es geschieht im dritten Teil des Oratoriums. Satan verklagt die Menschen vor Gott. Dass es Märtyrer gibt, Menschen die unschuldig verfolgt und ermordet werden, ist ihm ein Beweis dafür, dass die Menschheit eine „gefallene Menschheit“ ist. Schließlich sprechen die Erzengel das Verdammungsurteil aus. Doch da tritt im Oratorium überraschend Maria auf. Und sie verweist ihren Sohn Jesus auf seine Erlösungstat am Kreuz. Das gibt dem ganzen Gericht eine neue Wendung. Alle dürfen nun erlöst singen.

  1. Gibt es Hoffnung für alle?

    Diese Frage ist ja noch offen und nicht beantwortet:
    Das Gericht – das große Weltgericht, ewige Seligkeit für die einen und ewige Verdammnis für die andern, die Scheidung der Gesegneten und der Verdammten: findet sie nun statt oder nicht?

    Nehmen wir das ernst: Auf dieses Gleichnis vom Weltgericht folgt unmittelbar die Passionsgeschichte Jesu. Er stirbt den Kreuzestod für alle. Das bedeutet: Es gibt nur noch das von Christus getragene Gericht. Der Richterstuhl ist aus dem Holz des Kreuzes. Das aber ändert alles. Es wird nicht gnadenlos gerecht zugehen. Die entscheidende Aufgabe des Jüngsten Gerichts ist, dass es alles zurechtbringt. Dass es uns endlich von dem trennt, was in die neue Welt Gottes nicht mehr hineinpasst.

    Keine Frage: Es wird wehtun, wenn sichtbar wird, wie viel in unserem Leben aus Kleinglauben oder Unglauben heraus geschah und wir werden manches Verhalten bitter bereuen. Aber es wird den Wunsch, dass Gott mit seiner Barmherzigkeit darauf antwortet, ganz, ganz dringlich machen.
    Und wir dürfen mit dem Jüngsten Gericht, davon bin ich überzeugt, auch die kühne Hoffnung verbinden, dass sogar diejenigen, die wir als die Bösen, als die gottlosen Sünder bezeichnen, im Licht göttlicher Liebe ihr erbärmliches Tun einsehen und es bereuen können. Wenn der Weltenrichter sie von ihrer eigenen Blindheit befreit, ist es kaum anders denkbar, als dass sie nun auch nur noch bei Gott, mit ihm und für ihn sein wollen. Weil Christus es ist, der auf dem Richterstuhl sitzt, dürfen wir darauf hoffen, dass nicht menschliche Personen, die zu schwer gesündigt haben, von Gott abgewiesen und ins vernichtende Feuer geschickt werden, sondern das Böse und die noch übrig gebliebenen bösen Kräfte in der Welt.

    Es gibt im Gesangbuch einen wunderschönen Satz von Johann Albrecht Bengel, einem der Pietistenväter:
    Mancher, der sich vor dem Gerichte Gottes zu sehr gefürchtet hat, wird sich in der Ewigkeit ein kleines bisschen schämen müssen, dass er dem Herrn nicht noch mehr Gnade zugetraut hat.“ (EG S. 325).
    Ich füge hinzu: Mancher, der andern zu schnell das Gericht Gottes androht und zu genau weiß, wer es verdient – auch der wird sich in der Ewigkeit ein kleines bisschen schämen müssen, dass er dem Herrn nicht noch mehr Gnade zugetraut hat. Amen.

Dr. Gottfried Claß

 

 

Fürbittgebet von Uschi Weber-Leonhard und Susanne Horn

In welcher Not müssen Menschen sein,

wenn sie aus ihrer Heimat fliehen?

Sie lassen alles zurück, um in eine ungewisse

Zukunft aufzubrechen.

Vater im Himmel,

wir bitten dich um deine Hilfe.

Du willst den Armen und denen,

die ihre Hoffnung verloren haben,

wieder zu ihrem Recht verhelfen.

Sei du mit den Verantwortlichen in Politik und Gesellschaft.

Lass‘ sie ihre Entscheidungen im Vertrauen auf dich treffen,

um in christlicher Nächstenliebe handeln zu können.

 

 

Vater im Himmel,

wir sehen immer wieder unsere Unzulänglichkeiten

und unsere Grenzen, die uns von dir und deiner neuen Welt trennen.

Hilf uns aus unserem inneren Konflikt:

Wir wollen helfen, aber nicht ausgenützt werden.

Bitte zeig‘ uns hier in unserem Alltag

– wenn wir zum Beispiel Bittenden oder Bettelnden begegnen – Lösungsmöglichkeiten, die vertretbar sind für uns und unseren Glauben.

Dieser Eintrag wurde in der Kategorie Predigten veröffentlicht. Link zum Bookmarken: Permalink.

Comments are closed.