Léogâne-Haiti aktuell – Ausgabe 1

Die kleine „Zeitung“ mit Informationen über Haiti und unsere Arbeit in Léogâne,

von Marie-Josée und Franz Groll
Ausgabe 1 – 5.11.2010

Liebe Freundinnen, Freunde, Bekannte und alle, die sich für Haiti interessieren

Es ist unglaublich, wie die Menschen in Haiti mit der ganzen Misere fertig werden. Zu allem Unglück ist jetzt auch noch ein Tornado angekündigt. Es ist jedoch zu vermuten, dass Léogâne einigermaßen verschont bleibt. Seit gestern Abend regnet es stark, das deutet darauf hin, dass wir ein ganzes Stück vom Sturmzentrum weg sind, wir werden aber viel Regen bekommen. Das erinnert uns an November 1994. Da hat es von 11. bis 13. November ununterbrochen so stark geregnet, dass der Fluss Vouldrog im Departement Grand Anse (Jérémie) so stark angeschwollen ist, dass 140 Menschen ums Leben kamen, viele Häuschen weggeschwemmt und eine fast ganz neue Betonbrücke weggerissen wurde.
Von Père Marat wissen wir, dass damals in Léogâne viele Häuser und Hütten im Wasser standen, es kam aber niemand ums Leben.

In der Hauptstadt und in den Vororten wird dieses Unwetter zu unvorstellbaren, chaotischen Zuständen führen, denn dort sind die Kanäle und Abflüsse alle mit Müll, vor allem Plastikflaschen und sonstigem Unrat, verstopft. Schon bei geringerem Regen stehen die Verkaufsstände und die Käufer/innen und Verkäufer/innen im Wasser und im Schlamm, weil das Wasser nicht abfließen kann. Bei diesem Unwetter wird der Verkauf ganz eingestellt werden. Die Versorgung mit Lebensmitteln wird zusammenbrechen, weil die Bauern keine eigenen Produkte anliefern können. Selbst in Léogâne wird die Versorgung schwierig werden, Père Marat sammelt deshalb Geld, um für die Ärmsten Reis zu kaufen. Wir werden aus den persönlich überreichten Spenden und Geldgeschenken einen Beitrag leisten.
Als allererste Hilfe hat er heute seine letzte Reserve an Weizen und Speiseöl an etwa 400 besonders bedürftige Familien verteilen lassen

Am 7. Oktober bin ich (Franz) mit dem Motorrad (wir haben für 800 € ein neues Motorrad mit 125 cm³ gekauft) nach Port-au-Prince (PaP) gefahren. Unglücklicherweise hat es an diesem Morgen in PaP geregnet. Da habe ich die ganze Misere noch viel deutlicher mitbekommen. Auf dem Heimweg war ich froh, dass ich dieser „Hölle“ wieder entfliehen kann.
Bei den Straßen- und Verkehrsverhältnissen ist eine Fahrt mit dem Motorrad sehr gefährlich. Gleich am Morgen war ich in einen kleinen Unfall verwickelt, weil ein Motorradfahrer, der vor mir gefahren ist, in einer tiefen Wasserpfütze kippte. Ich konnte nicht mehr ganz anhalten und bin mit meinem linken Rammschutz gegen den Gepäckträger des anderen Motorrades gestoßen. Es wurde aber niemand verletzt.

Aber auch in Léogâne sind die Zustände alles andere als gut, auch bei guten Wetterverhältnissen nicht. Die haitianische Bevölkerung hat aber eine unglaubliche Geduld und eine nicht vorstellbare Fähigkeit, sich an die Gegebenheiten anzupassen und damit zu leben.
Auf welche Prüfungen sie bei diesem Unwetter noch gestellt werden, wissen wir noch nicht. Wir waren gerade kurz draußen auf dem Platz vor der Kirche. Die Zelte stehen z.T. im Wasser und die Straßen wurden zu Flüssen.
Die Menschen nehmen alles mit erstaunlicher Gelassenheit hin, gerade zieht eine Ra-Ra-Musikgruppe durch die Hauptstraße, in der das Wasser etwa 30 cm hoch fließt.
Sie haben eine richtige Bewältigungsstrategie für ihre Misere entwickelt: einfach in kauf nehmen was nicht veränderbar ist und durch singen, beten und tanzen, die ganze Misere gemeinsam bewältigen.
Léogâne ist so was wie… ein singender und tanzender  Trümmerhaufen…

Die derzeitige Situation in Léogâne, 10 Monate nach dem Erdbeben
Im Stadtzentrum hat sich seit dem Beben noch nicht viel verändert, nur die reparaturfähigen Häuser wurden zum Großteil wieder repariert und ein Teil der Ruinen wurde teilweise oder ganz abgetragen. Einen Wiederaufbau kann man noch nicht beobachten, abgesehen vom Pfarrhaus und einigen Schulen, die in Barackenbauweise errichtet wurden.
In den Außenbezirken der Stadt wurden mehrere Hundert kleine Holzhäuser von verschiedenen Organisationen errichtet. Die meisten Obdachlosen wohnen aber noch in Zelten.
Père Marat betont immer wieder, dass viele internationale Organisationen hier waren und Studien erstellten, dass aber nichts daraus wurde. Die einzige Organisation, die ein Projekt  in die Tat umsetzt, ist „Pro-Haiti“ aus Deutschland.
Diese Aussage muss man allerdings etwas einschränken, denn auf dem medizinischen Sektor gibt es Aufbauprojekte, aus unserer Sicht aber wenig koordiniert. Es wird in Zukunft mehrere Gesundheitsstationen geben, aber kein wirklich gutes Krankenhaus, was für die Größe der Stadt angemessen wäre, außerdem wird das Alters- und Behindertenheim und eine Schule von der Caritas Deutschland aufgebaut.

Von staatlicher Seite ist noch fast nichts geschehen, nur für das staatliche Gymnasium wurden 7 Unterrichtsräume in Barackenbauweise errichtet. Die Grundschüler dagegen werden unter Zeltdächern unterrichtet.
Präsident Préval hat die Finanzierung der Kirche zugesagt, mit dem Bau soll noch dieses Jahr begonnen werden.

Und nun der Bericht über den Projektfortschritt
Noch vor unserer Ankunft hat Jocelyn Bazile, den ich durch Anke Brückmann kennengelernt habe, das provisorische Lager aufbauen lassen, damit wir den Inhalt des ersten Containers lagern konnten. Dieses Lager hat eine Fläche von 40 m² und hat etwa 5 000 € gekostet.

Zusätzlich hat Jocelyn einen Brunnen bohren lassen, damit wir für die Maurerarbeiten Wasser zur Verfügung haben. Mit einer einfachen Handpumpe aus Plastikrohren wird das Wasser aus 13 m Tiefe hochgepumpt. Wenn der Container der BEGECA (das ist die Beschaffungsgesellschaft für MISEREOR, die auch für uns Maschinen und Werkzeuge einkauft) da ist, werden wir die Elektropumpe installieren.

Seit unserer Ankunft vor 5 Wochen bauen wir die Notunterkünfte auf, in denen wir selbst und 8 bis 10 Mitarbeiter aus Jérémie wohnen werden. Es entsteht eine Wohnbaracke mit 4 Schlafräumen, ein zweites Haus für das provisorische Büro und unser kleines Appartement mit etwa 22 m² und einer gemauerten Küche. Zusätzlich sind ein Toilettenhaus und eine 3-Kammer-Kläranlage im Entstehen. In den letzten 3 Wochen war unser Michael hier, um mir beim Entladen des Containers, beim Bau des ersten Holzhauses und bei der Überführung der Baufahrzeuge zu helfen. Den Baufortschritt könnt ihr aus dem angehängten Bild entnehmen. Wenn wir beide gelernte Zimmermänner wären, hätten wir sicher noch mehr geschafft, wir sind aber mit unserer Leistung zufrieden.

Die Zusammenarbeit mit den Handwerkern ist sehr gut, alle sind freundlich und nett, deshalb haben wir gestern alle zusammen gegessen und Michaels Abschied und seine Wiederkehr im März gefeiert.

Michael sollte eigentlich heute über NY zurückfliegen, der Flughafen von Port-au-Prince ist aber wegen des Tornados geschlossen worden.
Mittlerweile (es ist Samstag) hat Jocelyn Michael nach Port-au-Prince geholt, trotz immer noch 40cm Wasserhöhe auf den Straßen… da der Flughafen überraschend schon heute geöffnet wurde und Michael noch einen Platz im Flieger erhielt. Den gebuchten Anschlussflug von NY nach Deutschland wird er nicht mehr erreichen, da kann er gleich die haitianische Geduld einüben.

Die Container, das Auto und die Baufahrzeuge
Die Prozedur für die Entzollung der Container und ganz besonders der Fahrzeuge, dauert doch länger als erhofft. Die dazu erforderlichen administrativen Schritte müssen wir aber nicht selbst machen, dazu hat die Erzdiözese einen jungen Mann engagiert, der aber aus Projektmitteln bezahlt wird.
Der erste Container, der am 11.9. in Port-au-Prince ankam, konnten wir z.T. am 14.10. entladen. Da der Container aber erst am Nachmittag zur Inspektion bereitgestellt wurde und wir noch auf die Inspekteurin warten mussten, konnten wir nur noch einen LKW beladen. Zwei weitere LKW mussten am Samstag den 16.10. unter allerhöchstem Zeitdruck beladen werden, denn die Inspekteurin kam erst um 10:30 Uhr statt um 9:00 Uhr. Wir durften aber ohne Inspekteurin bis 13:00 Uhr umladen, obwohl der Zoll am Samstag um 12:00 Uhr schließt.
Die restliche Ladung werden wir in Léogâne auf der Baustelle entladen. Das war für Montag 8.11. geplant, das wird nun aber nicht gehen, weil die Zufahrt zum Grundstück für den Sattelzug für mehrere Tage unpassierbar sein wird und der Boden auf dem Grundstück zu weich ist.

Der Bagger und Schaufellader von Liebherr kam am 3.10. in PaP an, am Samstag 6.11. konnten wir sie abholen. Michael fuhr den Schaufellader und ich den Bagger. Da am Schaufellader die Batterie leer war, haben wir viel Zeit verloren. Wir mussten auch noch einen Löffel und einen Greifer für den Bagger auf einen LKW laden. Dazu haben wir den Schaufellader mit Staplergabeln umgerüstet. Michael hat diese Aufgabe als Gabelstapler-fahrer sehr gut gemeistert.  Um 14:00 Uhr haben wir das Terminal verlassen und kamen um 17:00 Uhr kurz vor Sonnenuntergang in Léogâne an.
Da die Baustelle für die Anwohner eine Attraktion ist, sind fast immer Leute auf der Baustelle. Die staunten nicht schlecht, als wir aus den Fahrzeugen stiegen. Auch unterwegs wurde uns ganz oft freundlich zugewunken.

Dank der Verfügbarkeit des Radladers können wir nun den ersten Container ganz entladen, denn für den 25 KW-Generator, den Kompressor und die große Rüttelplatte benötigen wir einen Gabelstapler oder eben den Radlader mit Staplergabeln.

Das Auto steht leider immer noch unter Zollaufsicht, obwohl es schon seit Ende September beim Händler in Port-au-Prince steht. Das ist ärgerlich, weil unsere Beweglichkeit dadurch stark eingeschränkt ist und wir für alle Transporte zuerst ein Fahrzeug suchen und bezahlen müssen.

Der zweite Container von Pro Haiti ist auch schon seit dem 17.10. in Port-au-Prince, seine Entzollung ist eingeleitet, wir wissen aber noch nicht wann wir ihn entladen können.

Dann sind noch 2 Container der BEGECA aus Aachen unterwegs und der Abrollkipper mit Tieflader, 3 Mulden und einer Plattform, mit der wir dann selbst die 6 m langen Container transportieren können, sind auch schon auf dem Schiff.

Zum Schluss noch ein paar Informationen über unsere persönliche Situation
Wir sind in einem abgeteilten kleinen 3m auf 3m Nebenraum des Gemeindesaales untergebracht. Dieses Gebäude wurde beim Erdbeben zwar beschädigt, konnte aber wieder repariert werden. Hinter unserem Raum sind 2 Duschräume mit WC, die von allen Bewohnern des Pfarrhauses benutzt werden. Das neue Pfarrhaus ist im Bau und zwischen dem Gebäude mit dem Gemeindesaal und dem neuen Pfarrhaus wurde Ende Juli in kürzester Zeit ein Interimspfarrhaus gebaut, das aber keine Küche und keine Sanitärräume hat.
Unsere Unterkunft ist den Umständen entsprechend ordentlich. Wir essen mit dem Pfarrer, dem Vikar und 3 Buben, die im Pfarrhaus wohnen, Einkäufe und andere Dienste erledigen und am Nachmittag in die Schule gehen.
Für das Kochen und das Wäschewaschen sind 2 Frauen angestellt. Das Essen ist ordentlich und zum Glück nicht scharf, so dass ich keine Probleme habe.

Ein echtes Problem sind die Schnaken, vor allem für Marie-Josée, aber auch Michael hat darunter gelitten.

HAITI : Ruinen, Müll, Schlamm, Staub, plagendes Ungeziefer, täglicher Überlebenskampf, aber allen Katastrophen zum Trotz, bleibt die Freundlichkeit,
und soweit wir beobachten können, ein faires Miteinander.

Die letzten Nachrichten aus Jérémie und dem CTSJ
Jérémie und vor allem die noch weiter westlich liegenden Orte lagen dichter am Tornado als Lèogâne, dort hat es nicht nur geregnet, der Sturm hat Bäume entwurzelt und Bananenstauden umgeknickt und dadurch große Schäden angerichtet. Es wurde aber niemand verletzt.

Von Père Fitho habe ich heute erfahren, dass für das CTSJ ein neuer Direktor ernannt wurde, es ist Père Sevigné, dass z. Z. die Einfriedung um das CTSJ ergänzt wird und Lehrlinge aufgenommen werden. Der Ausbildungsbetrieb soll im Januar wieder aufgenommen werden.

Wir hoffen, dass wir euch mit diesem ersten Lèogâne-Haiti aktuell ausreichend informiert haben und grüßen euch alle ganz herzlich

Marie-Josée und Franz

Die letzte Information vom Projekt: Ich bin heute Abend, nachdem das Wasser weitgehend abgeflossen war, kurz vor Sonnenuntergang noch auf die Baustelle gefahren, um zu sehen, ob Schäden zu beklagen sind. Gott sei Dank ist nichts passiert. Das angehängte Bild habe ich heute Abend aufgenommen.

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